Noten darf man nicht zu Durchschnitten verrechnen

Daß Schulnoten lediglich Meßwerte auf Ordinalskalenniveau sind, hat eine wichtige Konsequenz: Es ist mathematisch unzulässig, aus Ordinaldaten arithmetische Mittelwerte (sog. Durchschnitte) zu berechnen, so wie überhaupt jeder rechnerische Umgang mit Ordinaldaten unstatthaft ist. 

Diese Bemerkung des Mathematikdidaktiker Walther-Leonhard Fischer von 1991 (»Mathemagie«) formuliert eine Einsicht, die viele Menschen und viele Lehrpersonen vergessen haben. Was meint Fischer genau?

Arithmetische Mittelwerte (also Summe der Werte dividiert durch ihre Anzahl) werden an Schulen an zwei Orten verwendet:

  1. Bei der Berechnung einer Semester- oder Jahresnote einer Schülerin oder eines Schülers (die Durchschnittsnote wird dann gerundet).
  2. Bei der Berechnung des Durchschnitts eines Kurses oder einer Klasse (um Schüler*innen zu zeigen, wie gut ihre Note im Verhältnis zu allen anderen Noten ist).

Beides ist deshalb problematisch, weil Noten in der Regel keine metrische Skala darstellen. In einer metrischen Skala sind die Differenzen zwischen einzelnen Werten aussagekräftig bzw. gleich groß. Nehmen wir an, bei einer Prüfung können Schüler*innen 20 Punkte erzielen, indem sie 20 Aufgaben lösen. Jeder Punkt entspricht einer korrekten Aufgabe. Wer 2 Punkte mehr als jemand anderes erzielt hat, hat 2 Aufgaben mehr gelöst.

Nun werden diese Punkte in Noten umgewandelt. Da dieser Newsletter sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz gelesen wird, ist schon klar, dass das auf unterschiedliche Weisen geschieht. Auf jeden Fall wird eine sogenannte »Notenskala« eingesetzt, mit der die metrische Skala in eine Ordinalskala umgewandelt wird. Vergibt eine Lehrperson in der Schweiz halbe Noten, so könnten Schüler*innen mit folgenden Punktzahlen folgende Noten bekommen:

A: 15 Punkte -> Note 5
B: 14 Punkte -> Note 4.5
C: 13 Punkte -> Note 4.5
D: 12 Punkte -> Note 4

Die Differenz der Punkte (und der gelösten Aufgaben) zwischen A und B und zwischen B und C sind gleich groß, die der Noten ist es aber nicht.

Werden nun solche Noten zu einem arithmetischen Mittel verrechnet, entstehen ungenaue Werte, die, so Sacher, lediglich eine »grobe Information« bereitstellen – aber so aussehen, als wären es mathematisch sehr präzise berechnete Werte. Mit anderen Worten: Das Verfahren des arithmetischen Mittels erzeugt eine Verzerrung, wirkt aber genau – ist also scheingenau. Noch einmal Fischer dazu:

Schon der Hauptschüler lernt, daß bei der rechnerischen Verarbeitung von Meßwerten im Ergebnis nicht mehr Dezimalen hinter dem Komma auftreten dürfen, als es der Genauigkeitsschwelle der Ausgangswerte entspricht.

Was könnte man also tun? Grundsätzlich gibt es drei Möglichkeiten:

  1. Arithmetische Mittelwerte nur verwenden, um eine Orientierung erhalten – Gesamtnoten nicht über gerundete Mittelwerte ermitteln.
  2. Noten als möglichst genaue Abbildung von metrischen Punkteskalen einsetzen (z.B. mit einer Nachkommastelle) und dann auch Mittelwerte nur auf eine Nachkommastelle berechnen.
  3. Für die Orientierung an Klasse Mediane angeben, nicht arithmetische Mittelwerte (»die Hälfte war besser als eine 3,3, die andere Hälfte schlechter«).

Fischers mathematischer Rant enthielt übrigens noch ein weiteres Problem, auf das ich ein anderes Mal eingehe:

Für eine Klasse eine Normalverteilung der Noten (Leistungen) vorauszusetzen oder formal in den Bewertungen zu erzwingen, ist statistischer Unsinn. 

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