Bewertung mit Kompetenzraster – ein Zwischenstand

In diesem Semester führe ich nicht nur keine Prüfungen durch, ich gebe Schüler:innen auch keine Noten mehr während des Semesters. Dafür erhalten sie ein digitales Kompetenzraster, das ich laufend nachführe. In einer früheren Folge dieses Newsletters habe ich schon beschrieben, warum und wie ich genau vorgehe. Dabei wurde ich von einigen Kolleg:innen gebeten, wieder zu berichten, wie es so läuft. Das mache ich jetzt, weil ich in den Herbstferien dafür Zeit habe und gerade viele Kompetenzraster nachgeführt habe.

Ausschnitt aus einem ausgefüllten Kompetenz-Raster.
  1. Alles ist wichtig, alles kann berücksichtigt werden.
    Auf der Schulreise in Basel kehren wir müde nach dem Bowling in die Jugendherberge zurück. Eine aufgekratzte Schülerin meint, sie kenne eine Abkürzung, sie gehe voraus. Dann dreht sie sich zu mir um und sagt: »Herr Wampfler, können Sie das dann in mein Kompetenzraster eintragen?« 
    Was als Scherz gemeint war, hat einen wahren Kern: Tatsächlich trage ich bei einigen Schüler:innen die hilfreichen Fragen, die sie während eines Besuchs der Papiermühle stellen, ins Kompetenzraster ein. Es spielt keine Rolle, in welchem Kontext Schüler:innen zeigen, was sie können. Grundsätzlich muss ich nicht mal dabei sein. Entscheidend ist, dass sie können, was sie können sollten.
  2. Permanentes Gespräch.
    Ich habe mit allen Schüler:innen einen individuellen Teams-Chat, in dem Feedback ausgetauscht wird und Raum für Reflexion besteht. Das Kompetenzraster ist Teil dieser Gespräche, aber es ist auch Anlass dafür: Die Reflexionen der Schüler:innen sind die Basis, auf der ich die Raster ausfülle. Ich erhalte Feedback zum Unterricht und gebe den Schüler:innen Feedback zu ihrer Arbeit. Das ist eine Qualität, die ich so noch nie erreicht habe. Aber da steckt auf beiden Seiten auch viel Aufwand drin, der gerechtfertigt ist: Die Vorbereitung und Korrektur von Prüfungen fällt ja weg. (Natürlich korrigiere ich weiterhin ständig Texte von Schüler:innen, muss sie aber nicht benoten.)
  3. Konstanter Aufwand.
    Ich hatte in den Herbstferien keine Stapel mit Korrekturen, muss aber konstant dranbleiben, um nicht zu vergessen, wer wann was gezeigt hat. Die Reflexion der Schüler:innen sind ein Hilfsmittel, insgesamt gibt es aber kaum Pausen für mich, dafür auch keine krassen Peaks.
  4. Sicherheit und Unsicherheiten bei Schüler:innen.
    Ich habe alle meine Klassen nach den Sommerferien übernommen und verfahre zum ersten Mal genau so. Die Schüler:innen sind generell entspannt, mein Eindruck ist, dass sie durchaus Vertrauen haben, dass das am Schluss für sie gut rauskommt. Haben sie was vergessen oder übersehen, können sie es jederzeit nachtragen. Es gibt keine Momente, in denen sie unter Zeitdruck Leistungen erbringen können, weil es darum geht, was sie grundsätzlich können. Für dieses Können möchte ich gute Rahmenbedingungen schaffen (was bei großen Klassen nicht immer einfach ist).
    Andererseits sind aber einzelne Schüler:innen auch verunsichert, weil das Raster noch keine Note ausspuckt. Sie wüssten gerne, dass sich ihre Leistungen bei mir weiterhin im gewohnten Bereich befinden und sind unsicher, weil sie keine Noten erhalten. Eine weitere Unsicherheit besteht im Aufwand, eine Schülerin meinte, sie arbeite viel mehr als früher, der Ertrag sei aber kleiner. Ob das stimmt, kann ich erst am Schluss abschätzen. Das Kompetenzraster ist nichts, was Schüler:innen in einem Nachmittag abhaken können.
Ausschnitt aus einem Teams-Chat.

Subscribe to Beurteilung & Unterricht

Don’t miss out on the latest issues. Sign up now to get access to the library of members-only issues.
jamie@example.com
Subscribe
Mastodon