Möglichst grobe Noten geben

Wer Noten macht, tendiert manchmal dazu, möglichst fein abzustufen – viele Punkte zu geben und daraus möglichst präzise Noten abzuleiten. Weil Prüfungsnoten aber weder genau messen noch überhaupt messen, ist das nicht hilfreich: Grundsätzlich geht es bei schulischem Lernen um das Anregen von Lernprozessen. Diese sind komplex und nicht direkt zugänglich ist – was es praktisch verunmöglicht, sie zu vermessen. Was zugänglich ist, sind Lernprodukte oder Bearbeitungen von Aufgaben, die allenfalls ein indirekter Ausdruck von dem sind, was Schüler*innen können oder gelernt haben.

Daraus folgt: Ob ich nun Noten auf einer dreistufigen Skala (ungenügend – genügend – gut) gebe oder auf einer 100-stufigen (z.B. in Prozenten der maximal möglichen Leistung), ist fast immer bedeutungslos in Bezug auf den Informationsgehalt. »genügend« und 63% enthalten – in Bezug auf den Lernprozesse – genau gleich viele bzw. wenige Informationen.

Entscheidend ist dann ja, was die Noten bedeuten: Sie führen über einen Vergleich zu einer Klassifizierung von Schüler*innen, die oft willkürlichen meritokratischen Vorstellungen folgt. Gibt es nun feine Abstufungen, dann haben die im Vergleich zu groben einen Nachteil: Sie erzeugen auch eine feine Reihenfolge, die allen einen Platz in einer Ordnung zuweist. 63% ist besser als 62% – und schlechter als 64%. Wer solche Noten erhält, beginnt sich mit anderen zu vergleichen – statt über das eigene Lernen nachzudenken.

Grobe Abstufungen orientieren sich nur an der reinen Funktion von Noten: Z.B. Selektion zu betreiben und die ungenügenden Schüler*innen nicht zu versetzen oder am Besuch einer weiterführenden Schule zu hindern. Die logische Folgerung daraus: Ideal wären pass/fail-Systeme, also ein zweistufiges Notensystem. Da es immer auch Schüler*innen gibt, die ganz besondere Leistungen erbringen (sogenanntes Excelling), bietet sich eine dritte Stufe an, eine Art Lob für herausragende Leistungen. So ergeben sich in einer Klasse dann drei Gruppen, in denen kein Vergleich der Noten möglich oder nötig ist. Mehr noch: Es ist völlig einleuchtend, weshalb man zu dieser Gruppe gehört (während niemand versteht, weshalb man in der Prüfung 63% der Punkte oder der Maximalnote bekommen hat).

Die feinen Notenskalen dienen oft auch dazu, um Leistungen verrechnen zu können: Über ein Semester werden dann verschiedene Noten kombiniert, um eine noch genauere (bzw. noch scheingenauere) Schlussnote zu ermitteln. Auch das ist nicht nötig: Wer genügende Leistungen erbringt, hat im Semester eine genügende Leistung erbracht.

Oliver Caviglioli für »Eine Schule ohne Noten«