Wie sieht ein gutes Zeugnis ohne Noten aus?

Letzte Woche habe ich mich mit Verantwortlichen von einigen Schulen aus Liechtenstein ausgetauscht, die sich in einem Ungrading-Prozess befinden. Die zentrale Frage war dabei, wie ein Zeugnis aussehen könnte, in dem keine Noten stehen.

Ich habe einen Entwurf gestaltet, den ich hier kommentieren möchte.

Zuerst einige grundsätzliche Punkte:

  • Viele Zeugnisse basieren in ihrer Form auf Gesetzen, die sich nicht schnell ändern lassen. Ein juristischer Rahmen kann wohl erst im Rahmen anderer Reformen geschaffen werden. Allerdings wäre es heute schon möglich, alternative Zeugnisse den regulären beizulegen.
  • Zeugnisse haben mehrere Funktionen. Sie dienen dazu:
    a) das Ende einer Arbeitsphase und das Geleistete zu feiern
    b) zu dokumentieren, wie und woran Schüler:innen gearbeitet haben
    c) Eltern einen Eindruck zu vermitteln, ob es in der Schule gut läuft
    d) Übertrittsentscheide 'hart' zu machen
    e) Informationen über Lernfortschritte an Anschlussschulen zu kommunizieren
  • Der hier präsentierte Vorschlag rückt das Zeugnis näher an eine Mitarbeitendenbeurteilung, in der in Rückschau und Vorausblick Ziele überprüft und definiert werden. Im Idealfall entsteht so eine Orientierung, ein Sinnerleben – und weniger eine Abrechnung, die sich in Zahlen erschöpft.
  • Das vorgeschlagene Zeugnis ist keine Vision: Ich bin überzeugt, dass
    (1) …alle Schulen mit einem vertretbaren Aufwand solche Zeugnisse ausstellen könnten
    (2) …solche Zeugnisse für Lernende, Lehrende und Eltern gegenüber Notenzeugnissen einen klaren Mehrwert bieten würden.
  • Sinnvolle Zeugnisse können auch öfter ausgestellt werden, als das heute der Fall ist. Die aktuelle Situation, dass Zeugnisse Noten enthalten, die wiederum mit Prüfungen verbunden sind, ist auf mehreren Ebenen problematisch. Sobald es nicht nötig ist, eine bestimmte Zahl an Prüfungen durchzuführen, können Zeugnisse Lernprozesse besser begleiten und es ergibt dann auch Sinn, sie öfter als Zwischenberichte einzusetzen.

So sähe mein Musterzeugnis aus (pdf-Version). Die einzelnen Teile kommentiere ich unten:

1. Fortschritt feiern

Das ist einer der zwei verbalen Teile. Hier braucht es keine langen Formulierungen, es wäre aber sinnvoll, konkret zu erwähnen, was Schüler:innen neu gelernt haben. Ich habe bei der Musterformulierung darauf geachtet, dass fachliche und überfachliche Kompetenzen in der Formulierung erwähnt erwähnt werden, vorschreiben würde ich das so aber nicht: Wichtig erscheint mir, dass sowohl Schüler:innen als auch ihre Eltern verstehen, worin der erwähnte Fortschritt besteht.

Im Idealfall wird ein Lernprodukt hinzugefügt . Das könnte eine Zeichnung sein, ein anderes Papier oder ein Verweis auf digitales Produkt (im Beispiel handelt es sich um ein Video, das verlinkt wird, z.B. auch mit einem QR-Code).

2. Einen nächsten Schritt formulieren

Im zweiten ausformulierten Teil wird ein Entwicklungsschritt benannt, den Lehrpersonen Schüler:innen zutrauen und der eine gewisse Bedeutung hat. So können Eltern ihr Kind unterstützen und es kann dich auf das fokussieren, was die Lehrpersonen als wichtig erachten.

3. Visualisierungen des Lernstands

Mit einem Profil-Spider (ich habe dieses Web-Tool verwendet) kann verdeutlicht werden, welche Lernziele erreicht und welche noch nicht erreicht wurden. Das kann insbesondere auch deutlich machen, welche Anforderungen einer weiterführenden Schule nicht erreicht sind – und so die Grundlage für entsprechende Entscheide oder Empfehlungen darstellen.

Zwei wichtige Bemerkungen dazu:

  • Im Hintergrund können differenzierte Kompetenzraster hinterlegt werden, aus denen in einer eleganten Software-Lösung auch direkt Spider erzeugt werden können. Die Raster würden den Eltern noch mehr Einblick geben, wenn sie das wünschten. Sie bedingen aber ein digitales Zeugnis, während die Spider an sich auch ausgedruckt werden können.
  • Die Spider können individuell an Lernziele angepasst werden, d.h. Schüler:innen mit höheren Anforderungen könnten andere Skalen eingeblendet erhalten als Schüler:innen mit tieferen. Die Spider wären dann per se nicht vergleichbar, wie das bei Schweizer Schulen die Regel ist, welche Farbsignale für die individuelle Zielerreichung verwenden (grün bedeutet dann, dass das persönliche Ziel erreicht wurde, unabhängig davon, was dieses Ziel beinhaltet. Zwei Schüeler:innen können grün erhalten und unterschiedliche Kompetenzprofile aufweisen).
    Das unterschiedet die Spider auch per se von Noten, die eine absolute Skala voraussetzen.

P.S.
Hazu kann in der Skills-Ansicht solche Spider in Bezug auf den Lehrplan21 erzeugen. Diese könnten an sich schon an die Stelle eines Zeugnisses treten:

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