Verbindlichkeit und Feedback an einer Schule ohne Noten

»Eine Schule ohne Noten« ist nicht nur der Titel unseres Buches, sondern auch eine konkrete politische Forderung und Vision. Die Forderung richtet sich gegen eine aktuelle Praxis, gegen Beurteilung, gegen Prüfungsdruck, gegen erzwungene Vergleiche von Lernenden, gegen ihre Normierung.

Im heutigen Post möchte ich die Vision konkretisieren. Wofür trete ich ein? Wie lässt sich an einer Schule, die keine Form der Beurteilung kennt und nutzt, dass das Lernen und die Arbeit von Schüler*innen verbindlich erfolgt und sie Rückmeldungen erhalten? Das lässt sich grundsätzlich in fünf Aspekten umsetzen, die auch den Unterricht an guten Schulen heute prägen.

Aspekt 1: Individualisierung

Schüler*innen arbeiten an Problemen, die auf ihren Lernstand und ihre Entwicklung bezogen sind. Sie finden an Schulen Herausforderungen, die ihnen eine hohe Lernaktivität ermöglichen. Das sind für jede Person andere. Diese Grundeinsicht lässt Noten schon obsolet werden: Was sollen sie messen oder vergleichen, wenn die Arbeit der Schüler*innen so unterschiedlich ist, wenn das, was sie lernen, von ihren persönlichen Voraussetzungen und Bedürfnissen abhängt?

Individualisierung erfordert Feedback, Reflexion – und führt zu Verbindlichkeit. Lehrende wie Lernende müssen sich permanent fragen, welche Arbeitsformen sinnstiftendes Arbeiten ermöglichen. Wer nicht beschult wird, übernimmt Verantwortung und setzt sich Ziele.

Aspekt 2: Feedback

Die Schüler*innen erhalten pro Tag mindestens eine fundierte Rückmeldung zu einer echten Arbeit, die sie geleistet haben. Das wäre ein Grundziel, das gute Schulen heute schon erreichen. Noten sind eine Verlegenheitslösung, sie schieben Feedback auf und verdichten es in Zahlen, die nichts bedeuten, aber objektiv wirken.

Ausgehend von der Grundregel lässt sich Feedback verfeinern und erweitern: Schüler*innen lernen in meiner Vision, Feedback einzuholen. Sie verstehen, wie Feedback Wirkung entfalten kann – und können so Peers auch gutes Feedback geben. An Schulen entsteht so eine Feedback-Kultur: Feedback ist die grundlegende Form der Rückmeldung, sie wird nicht durch Noten und Prüfungen entwertet, sondern ist für Gebende wie Nehmende sinnstiftend.

Feedback klärt die Rolle der Lehrperson: Sie unterstützt, begleitet und stärkt lernende Menschen. Sie muss sie dabei weder beurteilen noch vergleichen, sie muss sie nicht herabsetzen und kränken. Ihr Fokus liegt darauf, wie sie helfen und Kompetenzerwerb stützen können.

Aspekt 3: Portfolios

In Portfolios sammeln Schüler*innen ihre Arbeiten und Lernprodukte, um sie anderen zeigen zu können. Sie wählen aus, was für sie relevant ist. Aus einer passiven und abhängigen Rolle (»wie beurteilt die Lehrperson, was ich geleistet habe«) gelangen sie in eine aktive: Sie zeigen ihre Kompetenzen, sie holen sich Feedback ein. Dadurch entsteht Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen.

Portfolios sind eine Grundlage für Feedback, für Weiterarbeit – und für Lerngespräche.

Aspekt 4: Lerngespräche und Reflexion

Regelmäßig finden Dialoge zwischen Lehrpersonen und Schüler*innen statt. Dabei werden Zielvorstellungen und Entwicklungsmöglichkeiten thematisiert. Grundlage der Gespräche sind Feedbacks und Portfolios, anders als heute sind es nicht künstliche Anlässe, in denen es letztlich darum geht, die Kränkungen der Notensetzung zu bewältigen, sondern die Gespräche haben Gehalt und Bedeutung. Sie helfen Lernenden dabei, ihre individuellen Lernprozesse zu reflektieren. Auch Lehrende nutzen diese Gespräche, um sich selber Gedanken zu machen, wie sie die Begleitung von Schüler*innen wirksamer gestalten können.

Aspekt 5: Begründete pass/fail-Entscheide

Braucht es Entscheidungen an Schulen (z.B. bei Selektion, Qualifikationen, Vergabe von Ressourcen etc.), werden diese gefällt, nicht errechnet. Ein Mensch begründet den Entscheid und erklärt ihn, er fällt in Form einer Zustimmung oder Ablehnung – wie bei einer Bewerbung oder beim Führerschein. Idealerweise geht es dabei um Kompetenzen bzw. Kompetenznachweise.