Prüfungskultur an Hochschulen

(Diesen Beitrag habe ich schon auf schulesocialmedia.com publiziert – da ich durch die Notenabgabe (!) etwas im Stress bin, diese Woche einfach ein Repost.)

Was folgt, ist ein Rant – das heißt ein etwas emotionalerer Text, weil mich das Thema nervt. Ausgangslage ist folgende: Traditionelle Prüfungen an Schulen und insbesondere Gymnasien werden oft damit legitimiert, dass sie eine zentrale Vorbereitung für ein Studium darstellen. Wer erfolgreich studieren will, muss traditionelle Prüfungen absolvieren können – und damit meine ich: alle Mitglieder einer Lerngruppe werden eingeschlossen und lösen isoliert und mit sehr wenigen Hilfsmitteln Aufgaben, die nach einer vorgegebenen Musterlösung bepunktet werden. Das Bestehen der Prüfungen ist meist Bedingung für eine Weiterführung des Studiums.

Diese Prüfungssituation an Hochschulen wird als gegeben und unveränderlich angeschaut, obwohl sie hochproblematisch, eigentlich skandalös ist. Sie führt zu massiven mentalen Problemen. Studierende leiden unter der Prüfungsvorbereitung, brechen deswegen das Studium ab, nehmen Drogen und Aufputschmittel, um Prüfungen bestehen zu können. Diese entkoppeln die Lernkultur in Seminaren, wo kooperativ und poly-perspektivisch gelernt wird, von der Prüfungskultur – was dazu führt, dass die Lernkultur leidet und Studierende sich bei Gruppenarbeiten und Präsentationen ausklinken, weil sie wissen, dass solche Methoden für Prüfungssessionen wertlos sind. Prüfungen werden ohne jedes Feedback und oft Wochen nach dem Prüfungstermin zurückgegeben, Hochschulen unternehmen nicht einmal den Versuch, Prüfungen in den Lernprozess zu integrieren. Mehr noch: Wie César Hidalgo kürzlich dargelegt hat, hindern Prüfungen Studierende daran, wesentliche Kompetenzen zu erwerben, sie machen sie abhängig von Vorgaben und Dozierenden und verhindern, dass sie Verantwortung für ihre Entwicklung und für Projekte übernehmen können.

Hochschulen müssen ihre Prüfungskultur so schnell wie möglich radikal überdenken. Sie ist überholt und schädlich. Studierende brauchen mehr Feedback und weniger Abhängigkeit.

Wenn sich nun Schulen daran orientieren und sich bemühen, Schüler*innen auf diese sinnlose Prüfungskultur vorzubereiten, dann ist das aus einer Perspektive verständlich: Die Prüfungskultur ist eine Realität. Sie ist falsch, aber es gibt sie. So entsteht dann ein Dilemma, das ich nicht weiter ausführen muss. Es verschwindet erst, wenn die Prüfungsessionen an Unis verschwinden.

Nur: Im Leben und der Welt gibt es vieles, was real, aber falsch ist. Eine gute Schule orientiert sich nicht am Falschen, sie baut das Falsche nicht systematisch ein, sondern stärkt Menschen, unterstützt sie bei ihrer Entwicklung.

Wenn also ehemalige Schüler*innen von ihren Prüfungserlebnissen an Hochschulen berichten, dann müssen Lehrpersonen lernen, selbstbewusster und kritischer aufzutreten. Prüfungen an Universitäten sind nicht selbstverständlich, sie sind nicht unveränderbar. Ein erfolgreiches Studium zeigt sich nicht in Prüfungsergebnissen. Hier braucht es Widerstand und die Bereitschaft, Hochschulen zu entwickeln.

Ein letzter Punkt: Feedback und Betreuung skalieren nicht – sie sind arbeitsintensiv. Hochschulen müssen sparen und verteilen viel Arbeit auf wenigen Schultern (von denen zu viele in prekären Arbeitsverhältnissen stehen). Prüfungen durchzuführen ist dann eine Notlösung, die man nicht einzelnen Personen vorwerfen darf – sondern dem System. Alles steht und fällt mit Betreuungsverhältnissen. Gute Unis ermöglichen Studierenden, im direkten Austausch miteinander und mit Dozierenden zu lernen. Schlechte Unis zwingen Studierende zu Prüfungssessionen ohne Feedback.

Ein Bild der Vergangenheit: 900 Studierende der Universität Zürich legen ihre Prüfung vor Ort ab.
Prüfungssession an der Uni Zürich, Bildquelle

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