Noten als Box – »thinking outside the box«

Schulen werden um eine Reihe von Boxen gebaut: Räume, Stundenpläne, Betreuungsaufgaben, gesetzliche Vorgaben… 

Schulen stellen Lehrpersonen immer wieder Aufgabe, sich mal vorzustellen, wie eine Schule »outside the box« aussehen könnte. Diese Übungen sollten dabei helfen, Ziele oder Visionen zu entwickeln. Diese können aber keine Kraft entfalten, wenn sie dann wieder innerhalb dieser Boxen umgesetzt werden müssen. Wer freie Zeiteinteilung möglich machen will, kann das nicht innerhalb eines Stundenplans tun.

Noten sind eine weitere Box. Ihre Wirkung lässt sich mit diesem Bild gut beschreiben. Das mache ich in den folgenden Abschnitten – um dann zu zeigen, wie wir mit der Box umgehen können.

Lernen ist keine Prüfungsvorbereitung

Sprechen Schüler*innen übers »Lernen« (oder über »Lernziele«), dann meinen sie damit nicht lernen, sondern das, was man tun muss, um bei einer Prüfung gut abzuschneiden.  

Noten beenden und beschränken Lernprozesse. Sie suggerieren, eine Prüfung schliesse eine »Lernphase ab«. So entsteht eine Verkürzung: In der Schule werden nur die Aspekte des Lernens geschätzt, die bei der Vorbereitung auf eine Prüfung helfen.

Das Straßenlampen-Problem

Das Straßenlampen-Bild sagt: Das machen, was einfach geht – unter einer Straßenlampe suchen – statt das zu tun, was richtig wäre.

Noten machen dasselbe: Sie reduzieren die Kompetenzen, die Schüler*innen haben sollen, auf das, was an einer Prüfung abgefragt werden kann. Besonders deutlich wird das in Mathematik, wo die Vielfalt und Kreativität mathematischer Denkprozesse auf an Prüfungen schematisch lösbare Aufgaben beschränkt wird.

»Was kommt davon an der Prüfung?« 

Noten erfordern Prüfungen, Prüfungen erfordern Stoff, der geprüft werden kann. Diese Box filtert so alles, was interessant sein könnte, und lässt nur das durch, was bei der Vorbereitung für die Prüfung relevant sein könnte.

So sagt die Box letztlich: Alles, was wichtig ist, ist in der Box. Was sich nicht geprüft und benotet wird, ist nicht entscheidend.

Einen Umgang mit der Box finden

Wenn nun eine Lehrperson oder ein Kollegium in den Prozess des »Ungrading« einsteigen möchte, kann gibt es einiges, was kurzfristig hilft: Noten ausblenden – und hoffen, die Box gerate in Vergessenheit. Schulen haben beispielsweise begonnen, mit dem Einverständnis der Eltern Noten zwar zu machen, sie aber niemandem mehr zu zeigen. In eine ähnliche Richtung geht das Verfahren, nur noch einmal pro Halbjahr Zeugnisnoten zu machen, die nicht berechnet, sondern vergeben werden – hier wird die Box maximal verkleinert. Das geschieht immer dann, wenn weniger Noten gegeben werden. Möglichst gute Noten helfen auch: Sie verringern die Bedeutung der Box.

Am besten ist es aber, neben die Box einen Kreis zu stellen: Wenn Schüler*innen Kompetenzen sichtbar und erfahrbar machen können und/oder ihre Arbeiten in einem Portfolio gesammelt werden, dann entstehen »authentische Leistungen«, bei denen Fragen der Bewertung in den Hintergrund rücken. Zeigen Lernende am Ende eines Semesters ihr Portfolio den Eltern und Großeltern oder erklären sie ihnen, was sie gelernt haben, dann rücken Fragen der Bewertung in den Hintergrund. Die Box verschwindet nicht, aber sie hat eine Alternative zur Seite gestellt bekommen.

(Das ist die Grundidee, welche das Institut für zeitgemäße Prüfungskultur antreibt.)

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