Masterchef als Bild für die Prüfungskultur

In den letzten Wochen habe ich mir einige Folgen der Schweizer Ausgabe von Masterchef angeschaut. Das internationale Reality-TV-Format wählt aus 20 Hobby-Köch*innen eine Person aus, die den Titel »Masterchef« erhält. Das Vorgehen zeigt dabei auf eine interessante Weise Vorstellungen von Bewertungs- und Prüfungskultur. Diese bilden wohl nicht eine Realität ab, werden aber in einem gescripteten Format von Zuschauenden akzeptiert und als fair wahrgenommen.

Ich beschreibe zuerst kurz das Format und notiere dann fünf Beobachtungen. Die 20 Kandidat*innen müssen kochen. In sogenannten »Challenges« treten sie gegeneinander an: Sie erhalten Vorgaben in Bezug auf Zutaten, Kochverfahren, Mengen, geschmackliche Erwartungen, Anrichtungsästhetik und Zeit. Unter diesen Bedingungen kochen sie eines oder mehrere Gerichte, die dann von drei Jury-Mitgliedern beurteilt werden (im Schweizer Format sind es zwei Köche und eine Köchin, die alle auch unternehmerisch tätig sind). Die Beurteilung erfolgt meist in drei Kategorien: Die Kandidat*innen können in die nächste Runde kommen, in eine weitere Challenge geschickt werden oder ausscheiden. Diese Entscheidungen werden begründet, oft auch im Vergleich (»Eure Burger waren beide interessant abgeschmeckt, aber bei den Pommes hat X mehr Crunch hingekriegt.«).

Die folgenden fünf Beobachtungen sind Regeln, welche die Zuschauer*innen akzeptieren, wenn sie Masterchef schauen. Sie drücken deshalb aus, welche Formen von Beurteilung in der Populärkultur akzeptiert und nicht hinterfragt werden.

  1. Ändernde Anforderungen, Bedingungen und Kriterien
    Was es genau bedeutet, gut kochen zu können, ist in der Sendung notorisch unklar. Die Challenges sind originell und überraschen die Zuschauenden – was bedeutet, dass die Kandidierenden nie wissen, an welchen Kompetenzen sie gemessen und was genau die Erwartungen der Jury sind. Die Sendung vermeidet es genau festzulegen, wie geprüft und bewertet wird. Die Sendung suggeriert, die Leistung sei ausschlaggebend – ohne festzulegen, was Leistung genau bedeutet.
  2. Widersprüche in den Urteilen
    In den Beurteilungssequenzen wird deutlich, dass die Profis unterschiedliche Sichtweisen auf die Gerichte der Amateure haben. Das glätten sie, indem sie die Urteile gemeinsam vertreten, obwohl sie teilweise unterschiedlicher Meinung sind.
  3. Permanenter Vergleich und Selektion
    Warum können wir Menschen nicht beim Kochen zusehen, ohne erfahren zu müssen, wer das am besten macht? Weshalb müssen viele gut schmeckende Gerichte miteinander verglichen werden? Und weshalb müssen Kandidat*innen ausscheiden? Natürlich ist die Logik einer Spiel-Show, dass jemand am Schluss gewinnt. Nur stellt sich die Frage, weshalb diese Logik auf ein Kompetenzbündel wie Kochen übertragen wird.
  4. Willkürlicher Zeitdruck
    Das Format lebt davon, dass die Kochenden schlicht zu wenig Zeit für das haben, was sie kochen müssen. Profis würden so früh beginnen, dass in vielen Arbeitsschritten keinen Zeitdruck haben, um dann den Stress während Stoßzeiten bewältigen zu können. Wer etwa Pasta selber macht, nimmt sich dafür die nötige Zeit. Dasselbe gilt, wenn ein Teig aufgehen soll. Bei Masterchef fehlt diese Zeit oft, was dazu führt, dass nicht die besten Köch*innen die Challenges gewinnen, sondern die, welche unter Zeitdruck am wenigsten schlecht performen.
  5. Kochen Menschen alleine oder in Teams?
    Ab und zu müssen die Kandidat*innen in fremdbestimmten Zweiergruppen kochen, in der Regel jedoch allein. Die Teams sind nicht eingespielt, haben keine gemeinsame Kultur entwickelt oder Abläufe vereinbart. So entsteht eine Karikatur der Vorgänge in einer Profi-Küche, wo ja tatsächlich Zusammenarbeit extrem wichtig ist – aber unter ganz anderen Bedingungen. Die Bewertung führt dazu, dass Kandidat*innen für die Fehler anderer bestraft werden. Die schlechteste Form von Zusammenarbeit, die denkbar ist.

Diese fünf Beobachtungen stehen, wie teilweise erwähnt, in einem Kontrast zu den Vorgängen in einer realen Küche, besonders in der Spitzengastronomie. Dort arbeiten Teams zusammen, die klare Vorstellungen von Qualität und Prozessen teilen. Ziel ist nicht, das Teams zu reduzieren, bis jemand alleine kocht, sondern möglichst gutes Essen herzustellen. Die für die Selektion in der Show verwendeten Kriterien und Tests haben nichts mit der Realität in Küchen zu tun.

So entsteht in einer Sendung ein Bild einer Prüfungskultur, die Menschen nicht nur akzeptieren, sondern auch noch als unterhaltsam empfinden. Vielleicht habe ich mich etwas zu stark mit dem Thema beschäftigt: Ich fände die Sendung viel besser, wenn wir zuschauen könnten, wie Amateure begleitet und kommentiert von Profis kochen. Gerne mit harter Kritik, aber ohne Druck, Stress und Auswahl. Genauso stelle ich mir auch Lernen in der idealen Schule vor.

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