Können Beurteilungen transparent sein?

Stellen wir uns ein Team vor, das Restaurants bewertet. Mitglieder des Teams gehen dort essen, bestellen einiges von der Karte, essen es und beurteilen dann die Qualität der Speisen, die Originalität der Rezepte, den Service, das Ambiente etc. Zum Schluss kommt sowas raus (Quelle: Gault Millau, Zürich):

Warum ist jetzt das Restaurant Tremondi einen Punkt besser als der Gartenhof? Wenn das Publikum oder die Betreiber*innen von Restaurants das nicht verstehen, ist eine verbreitete Reaktion, die Beurteilung mit einem Kriterienkatalog transparenter zu machen. Die Redaktion könnte so erklären, wie die 20 Punkte vergeben werden, z.B. indem sie 5 Kriterien formuliert, zu denen sie jeweils 4 Punkte vergibt – oder 10 mit 2 Punkten oder 20 Kriterien, die erfüllt oder nicht erfüllt sein können.

Dann wäre unter Umständen klar, dass im Tremondi der Service 3/4 Punkten erhalten hat, im Gartenhof aber nur 2/4 – während alle anderen Bewertungen übereinstimmen. Oder dass im Tremondi selbstgemachtes Konfekt zum Kaffee offeriert wird, im Gartenhof nicht.

Die Forderung, Bewertungen transparent zu machen, bedeutet also Gesamtbewertungen durch feinere Kriterienraster zu erklären. Damit sind aber drei grundsätzliche Probleme verbunden:

  1. Anleitung zur Bestnote.
    Wenn ein komplett transparenter Kriterienkatalog vorläge, dann könnten die Betreiber*innen vom Gartenhof einfach alles auf dieser Liste abarbeiten und müssten dann 20 Punkte erhalten.
    Nur: Kein Restaurant erhält das Maximum von 20 Punkten und nur ganz wenige 19. Die Pointe an der Restaurantbewertung ist, dass einige besser und andere schlechter beurteilt werden. Komplette Transparenz widerspricht der Funktion der Bewertung (hier: einem subjektiven, auch streitbaren Vergleich).
  2. Verlagerung auf die Ebene der Kriterien.
    Warum jetzt beispielsweise das eine Restaurant bei einem Kriterium mit 2/4 Punkten, das andere mit 3/4 Punkten bewertet wird, müsste wiederum transparent gemacht werden – das Problem ist damit nicht gelöst, nur verlagert worden. Echte Transparenz würde bedeuten, dass allen unmissverständlich klar ist, warum eine Bewertung so ist, wie sie ist. Damit müssten Kriterien komplett objektiv sein. Ansonsten wird die Intransparenz nicht aufgelöst, sondern versteckt.
  3. Intransparenz der Kriterien.
    Warum sollen genau diese Kriterien ausschlaggebend sein? Kommen wir zum Konfekt zurück: Vielleicht ist der Gartenhof ein nachhaltiges Restaurant (ich weiß es nicht). Weil viele Gäste Konfekt stehen gelassen haben und so viel Food Waste entstanden ist – so ein mögliches Szenario – haben sich die Verantwortlichen dafür entschieden, Mini-Desserts anzubieten und kein Konfekt mehr zu offerieren. Das ist eine nachvollziehbare, vernünftige Entscheidung – für die das Restaurant dann aber bestraft würde. Welche Kriterien weshalb wie gewichtet werden, müsste wiederum transparent gemacht werden – was meist schlicht nicht möglich ist.

Wenn wir nun zu schulischen Arbeiten kommen, dann lässt sich das Problem der transparenten Bewertungskriterien wie folgt formulieren:

Transparenz meint oft Kriterienkataloge, die aber willkürlich zusammengestellt und bewertet werden – und damit Intransparenz nicht auflösen, sondern verstecken. Das hat damit zu tun, dass Bewertungen gar nicht transparent sein können, weil ihre Funktion darin besteht, schlechte und gute Leistungen zu vergleichen.

Daraus lässt sich für schulische Beurteilungen eine einfache Regel ableiten: Wenn die Kriterien nur dazu da sind, Diskussionen um Noten zu erschweren und Intransparenz zu verlagern, dann schaden sie mehr als sie nützen. Wenn die Kriterien aber sowohl objektiv sind als auch Hinweise enthalten, was Lernende für gute Noten leisten müssen, dann schaffen sie tatsächlich Transparenz und sind sinnvoll.

Als Bonus noch ein Beispiel für ein Kriterienraster zu Debatten im Deutschunterricht:

Kriterienraster Debatte

Wenn wir z.B. Ausdrucksvermögen anschauen, dann stellt sich die Frage, ob für Schüler*innen der Unterschied zwischen »verständlich, flüssig und lebendig« und »klar und deutlich gegliedert, anschaulich« bzw. »jederzeit angemessen; einprägsam und originell« klar ist. Mit großer Sicherheit nicht – es bleibt das Gefühl, 3 oder 4 oder 5 Punkte erhalten zu haben, ohne dass transparent wird, weshalb.

Anders ist es bei Sachkenntnis, 0 oder 1 Punkt: Entweder ist alles falsch oder vieles. Das müsste ich nachweisen lassen, auch so, dass Schüler*innen das einsehen. Nur wird niemand je an einer Debatte so teilnehmen, dass alles falsch ist… 

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