Was ist eine gute Leistung?

Im heutigen Newsletter findet ihr keine Analyse, sondern ein fiktives Gespräch unter Lehrpersonen. Es soll zeigen, wie unterschiedlich Perspektiven in Bezug auf Beurteilung ausfallen können.

Im Teamzimmer unterhalten sich drei Lehrpersonen. Thema: Wann ist eine Leistung einer Schülerin oder eines Schülers als »gut« zu qualifizieren?

Die Physiklehrerin beginnt. Sie findet, eine Leistung sei dann »gut«, wenn Lernende 80% der gestellten Aufgaben korrekt lösen können (bzw. 80% der möglichen Punkte erhalten).

Der Geschichtslehrer hat eine andere Perspektive: Er findet Leistungen dann gut, wenn die Lernziele alle erreicht worden seien. Werden sie übertroffen, ist er bereit, eine Leistung als hervorragend zu bezeichnen – sind einzelne Lernziele nicht erreicht worden, kann die Bewertung nicht mehr »gut« ausfallen.

Die Sportlehrerin vertritt noch mal eine andere Meinung. Eine gute Leistung sei überdurchschnittlich. Da Leistungen normalverteilt ausfielen, sei eine Leistung dann als »gut« zu qualifizieren, wenn mindestens zwei Drittel der Vergleichsgruppe schlechtere Leistungen erbringen.

Die drei Lehrpersonen sind unsicher, ob sie nicht einfach unterschiedliche Formeln haben, um dasselbe auszudrücken: Vielleicht bedeuten 80% der maximalen Punktzahl, dass in Physik die Lernziele erreicht wurden? Und vielleicht bedeuten 80% der maximalen Punktzahl bei einer gut konstruierten Prüfung auch, dass zwei Drittel der Vergleichsgruppe ein schlechteres Ergebnis erzielen?

Der Geschichtslehrer fragt dann: Aber können denn alle Schüler*innen einer Klasse eine »gute« Leistung erbringen? Sollte das nicht möglich sein, wenn das Ziel ist, dass alle die Lernziele erreichen?

Die Sportlehrerin widerspricht sofort: Nein, es können nicht alle »gut« sein, weil das von Durchschnittswerten abhängt. Wären alle »gut«, würde das Prädikat etwas anderes bedeuten, nämlich »durchschnittlich« oder sogar »leicht unterdurchschnittlich«. Es käme zu einer Entwertung.

Die Physiklehrerin ist unsicher. Sie würde sich freuen, wenn alle Lernenden 80% der Maximalpunkte erreichen würden, nur passiert das leider nicht. Sie äußert zudem Skepsis gegenüber der Logik des Geschichtslehrers: Wie erklärt er denn Schüler*innen, dass ihre Leistungen nicht hervorragend seien, wenn er ihnen keine Punkte abzieht, sondern erwartet, dass sie Vorgaben übertreffen? Ist es nicht unfair, etwas zu verlangen, was nicht explizit eingefordert wird?

Der Geschichtslehrer findet das nicht. Bei seinen Aufgaben könne man immer mehr leisten, als für die Erfüllung der Lernziele erforderlich sei – mehr Quellen beiziehen, zusätzliche Reflexionsebenen eröffnen oder unerwartete Bezüge herstellen. Er arbeite nicht defizitorientiert, sondern versuche, eine Lernkultur zu etablieren, in der Schüler*innen Vorgaben auch übertreffen könnten.

Das wiederum irritiert die Sportlehrerin. Leistungen würden gemessen – da ergäbe es wenig Sinn, davon zu sprechen, jemand übertreffe eine Vorgabe. Eine Zeit sei einfach schneller oder ein Score höher als bei anderen. Deshalb müssten solche Leistungen statistisch beurteilt werden, nicht durch vordefinierte Normen. Ob es in Physik oder Geschichte keine Verzeichnisse gebe, in denen man nachschlagen könne, was gleichaltrige Schüler*innen zu leisten imstande seien?

Wie immer bei Anekdoten aus dem Lehrer*innenzimmer endet das Gespräch, weil es schon längst geläutet hat und der Geschichtslehrer unterrichten, die Physiklehrerin mit der Schulleitung ein Urlaubsgesuch besprechen und die Sportlehrerin eine Stunde vorbereiten muss. Alle gehen mit dem Gefühl aus dem Gespräch, recht zu wissen, wann eine Leistung »gut« sei, auch wenn die anderen eher seltsame Sichtweisen vertreten.

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