Vorurteile von Lehrpersonen führen zu schlechteren Noten für benachteiligte Schüler:innen

Eine Studie der Universitäten Zürich und Bern hat bei der Benotung von mehr als 14 000 Neuntklässler:innen in Deutschland erhebliche Verzerrungen aufgedeckt. Diese hängen mit dem Geschlecht, dem Gewicht, der ethnischen Herkunft und dem sozioökonomischen Status der Eltern zusammen. Damit unterstreicht die Studie die Notwendigkeit weiterer Forschung zu diesem weit verbreiteten Phänomen im Bildungswesen.

Sandra Gilgen von der Universität Zürich und Richard Nennstiel von der Universität Bern untersuchten Noten-Verzerrungen anhand von Daten aus dem Nationalen Bildungspanel in Deutschland. Die beiden Forschenden konzentrierten sich auf eine repräsentative Stichprobe von 14’090 Schüler:innen, die 2010 die neunte Klasse besuchten. Sie verglichen die von den Lehrpersonen vergebenen Noten mit den Ergebnissen standardisierter Kompetenztests.

Die ganze Studie ist hier zugänglich (im Titel hat es einen irritierenden Fehler, «Can» ist ein Eigenname und müsste gross geschrieben werden): https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0305703

Dabei zeigten sich folgende Ergebnisse:

  1. Noten weichen signifikant vom tatsächlichen Leistungsvermögen ab. Knaben, übergewichtige Schüler:innen, Schüler:innen mit Eltern mit einem tiefen sozioökonomischen Status sowie Schüler:innen, die bestimmten Ethnien zugeschrieben werden, werden in fast allen Fächern benachteiligt.
  2. Diese Effekte addieren sich, wenn sie kombiniert auftreten. Übergewichtige türkische Knaben («chubby Can») haben deutlich schlechtere Noten als schlanke deutsche Mädchen («skinny Sophie»).
  3. Wenn Persönlichkeitsmerkmale und Wiederholungen von Klassen berücksichtigt wurden, verschwinden viele Unterschiede, die sich auf eine bestimmte Eigenschaft beziehen (z.B. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit oder Gewicht). Dennoch gibt es besonders im Fach Deutsch auch nach Kontrolle für diese Eigenschaften eine Benachteiligung von Knaben und übergewichtigen Schüler:innen.
  4. Die Diskriminierung nach sozialer Herkunft ist davon hingegen unabhängig: Sie bleibt auch nach Berücksichtigung solcher Variablen stabil.

Lehrpersonen diskriminieren wohl nur in seltenen Fällen über Noten. Vielmehr schreiben sie schlechte Leistungen oft Persönlichkeitsmerkmalen zu, die indirekt mit ethnischer Herkunft oder Übergewicht korrelieren, aber nichts mit der tatsächlichen Leistung zu tun haben.

Solange Schüler:innen bewertet werden, lässt sich wohl wenig dagegen tun. Die Beurteilungsformen an deutschen Schulen sind stark standardisiert – dass gerade da ein so starker Bias gemessen werden kann, zeigt, dass Standardisierung wenig hilft, um das Problem zu lösen.

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