So überzeugt man die Gesellschaft von einer Schule ohne Noten

George Monbiot hat mit »The Invisible Doctrine« ein Buch geschrieben, das präzise zeigt, wie die neoliberale Ideologie praktisch das gesamte politische Denken in westlichen Ländern eingenommen hat. In einem Podcast erklärt Monbiot allgemein, wie man Menschen von Ideen überzeugt – das Modell lässt sich gut auf die Bewegung übertragen, die für eine Schule ohne Noten eintritt.

Monbiot erwähnt zwei Beispiele: Erstens die kapitalistisch-neoliberale Vorstellung, dass die Verwertung von Land, menschlicher Arbeit und Kapital nicht eingeschränkt werden sollte (auch nicht durch demokratische Entscheide); zweitens die Bewegung hin zur Ehe für Homosexuelle in den USA. Diese Ideen haben sich nicht deshalb durchgesetzt, weil Menschen andere argumentativ überzeugt haben, sondern weil sie (die Zusammenfassung ist von mir leicht verändert und ergänzt):

  1. immer wieder zu schon Überzeugten gesprochen und diese begeistert haben
  2. die politischen Entscheidungen mit Werten aufgeladen haben, also auch mit Erzählungen
  3. langsam einen Anteil von 20%-25% Sympathisant:innen in der Bevölkerung erreicht haben
  4. als eine neue Idee so dann von sozialer Anpassung profitiert haben: niemand möchte auf der falschen Seite solcher Debatten stehen, weshalb schon ein Fünftel oder ein Viertel der Gruppe reicht, um die gesamte Gruppe zu überzeugen.

Monbiot betont, dass eine Gesellschaft komplex sei und deshalb einen »Tipping Point« aufweise, an dem die Stimmung kippt. Dieses Vorgehen, so Monbiot, würden rechte Bewegungen ständig ausnutzen, um ihre Ideen durchzusetzen. Linker Aktivismus tue das zu selten.

Wenden wir dieses Vorgehen auf die Idee an, Schule von Noten zu befreien, dann ist es wichtig, diejenigen Personen mit Argumenten, Ideen, Geschichten und Formulierungen zu stärken, die grundsätzlich aufgeschlossen sind. Das führt dazu, dass sich langsam mehr Menschen diesen Gruppen anschließen und es grundsätzlich erst einmal denkbar wird, in Schulen auf Noten zu verzichten. Das führt dann dazu, dass die Schulen, die sowas überlegen und Konzepte erarbeiten, cooler wirken als andere, der Legitimierungsbedarf ändert: Plötzlich müssen Schulen, die in diesem Bereich nichts tun, erklären, weshalb sie nichts tun. Die neue Idee kann Potentiale abrufen, welche der Status Quo nicht mobilisieren kann.

Ich denke, zumindest in der Schweiz ist dieser Tipping Point bei einigen Schultypen bald erreicht. Mein Gefühl sagt, dass die Gruppe der Eltern die hartnäckigste ist, hier wird es am längsten gehen, bis ein Anteil von 25% erreicht ist, der von Noten Abstand nehmen will. Bei Lehrpersonen und Schulleitungen ist dieser bald erreicht.

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