Schulen, an denen sich junge Menschen wohlfühlen – und der Begriff der «Kuschelpädagogik»

Die Vorstellung von Schulen, an denen sich Schüler:innen nicht wohlfühlen, ist schräg – und doch verbreitet. Anders kann ich mir nicht erklären, dass Wohlfühlschulen abwertend verwendet werden. Mit dem Begriff der «Kuschelpädagogik» wird ein Umgang mit Schüler:innen, der ihre Bedürfnisse wahrnimmt und berücksichtigt, mit pädosexuellem Missbrauch in Verbindung gebracht. Diese rhetorische Strategie ist offenbar nötig, weil schulische Settings verteidigt werden müssen, die einer genaueren Prüfung nach pädagogischen Kriterien nicht standhalten.

Schüler:innen fühlen sich an Schulen aus verschiedenen Gründen wohl – und aus verschiedenen Gründen nicht. Einer davon ist der Leistungsdruck und die Bewertung sogenannter Leistungen. Deutlich wird das, wenn man sich aus einer Erwachsenenperspektive überlegt, wie ein Arbeitsplatz aussieht, an dem wir eine gute Leistung erbringen können. Arbeitnehmer:innen wünschen sich nie mehr Bewertungen durch Zahlenwerte – im Gegenteil: Sie wehren sich, wenn immer das möglich ist, dagegen.

Die Vorstellung, junge Menschen würden Leistungen nur erbringen, wenn die Prüfungskultur so gestaltet ist, wie sie heute gestaltet ist, ist zutiefst adultistisch. In meinem neuen Buch definiere ich Adultismus wie folgt:

Adultismus bezeichnet die Vorstellung, dass Erwachsene reifer, vernünftiger und entscheidungsfähiger als Kinder oder Jugendliche seien. Wer adultistisch denkt, beschränkt die Partizipation von Schüler:innen, weil ihnen deshalb nicht dieselben Rechte (und Pflichten) zukämen wie Erwachsenen. Das wiederum führt bei Kindern und Jugendlichen zu dem Gefühl, dass sie nicht ernst genommen werden.

Warum Jugendliche nicht das Recht haben, sich in Schulen so wohl zu fühlen, wie das Erwachsene am Arbeitsort gern tun, ist eine Frage, welche direkt zu adultistischen Denkweisen führt. Sobald man sich davon löst, wird deutlich, wie unwürdig die Lernbedingungen für junge Menschen oft sind, auch wenn man sich nicht direkt mit dem Problem der Bewertung beschäftigt. Allein mit 30 anderen Menschen in einem Schulzimmer lernen zu müssen, ist für viele eine Belastung – Lehrpersonen sind oft froh, wenn sie sich in Pausenräume oder Vorbereitungszimmer zurückziehen können, was für junge Menschen nicht möglich ist. Viele Schüler:innen können keine sauberen Toiletten benutzen, haben eineng ganzen Tag praktisch keine Privatsphäre. Sie können oft nicht selber bestimmen, wie sie lernen möchten, weder in Bezug auf ihr Tempo noch in Bezug auf soziale Konstellationen. All das verhindert Wohlbefinden.

Erwachsene reden sich oft raus, dass Leistung nur erbracht wird, wenn man sich nicht zu wohl fühlt. Das klingt wie die toxische Ausrede eines Fussballtrainers, der seit 20 Jahren keine Weiterbildung gemacht hat. Menschen sind aus wissenschaftlicher Sicht gerade dann produktiver, wenn gute Bedingungen vorliegen. Sie lernen wirksamer, wenn sie sich wohlfühlen. Den Begriff 'Leistung' braucht es gar nicht, weil er dazu geschaffen wurde, um einen ganz engen, normierten Blick auf menschliche Tätigkeiten zu werfen.

Ein Beispiel für die hier kritisierte Haltung

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