Punkte abziehen oder Leistungen würdigen – zwei Sichtweisen auf die Entstehung von Bewertungen

Schüler*innen arbeiten. Sie lösen Aufgaben, führen Gespräche, erstellen Lernprodukte, schreiben Notizen und Klassenarbeiten. Irgendwie müssen sie dafür benotet werden (also sie müssen nicht, aber rechtlich ist das halt oft so vorgeschrieben).

Wenn wir all das oben Erwähnte (und noch mehr) als Arbeit bezeichnen, dann lässt sich die Arbeit mit Kriterien erfassen. Schematisch sieht das dann so aus:

Selbstverständlich erfassen diese Kästchen nicht alles: Eigentlich müsste die Arbeit als eine Fläche mit ausfaserndem Rand hinter das Raster gelegt werden, um das deutlich zu machen. Bei der Beurteilung erfassen Lehrpersonen nun, ob die Kriterien erfüllt sind oder nicht, also etwa so:

Die Frage ist nun: Wie gut ist nun etwas, was so beurteilt wurde? Auf der einen Seite gibt es viele grüne Häkchen: Die Arbeit besteht also aus vielen Erfolgen, Leistungen, generell aus einem breiten Können.

Auf der anderen Seite gibt es auch nicht erfüllte Kriterien, die rot markiert sind. In diesem Fall konnte die Schülerin oder der Schüler nicht alles, was verlangt war. Es gab Fehler, Lücken, Missverständnisse etc.

Wenn nun ein Zahlenwert in Form einer Note generiert werden muss, suchen Lehrpersonen nach Wegen, Können und Nicht-Können in ein Verhältnis zu bringen. Das ist in jedem Fall willkürlich und künstlich: Auch wenn man einen Erwartungshorizont, eine vorgegebene Skala, ein Vergleich mit realen Problembearbeitungen etc. heranzieht, werden immer noch Dinge, die jemand kann, mit Dingen, die jemand nicht oder noch nicht kann, verrechnet. Das ergibt keinen Sinn und kann nicht gerecht erfolgen.

Das zeigt sich daran, dass es Lehrpersonen gibt, die es eigentlich sinnvoll finden, mit 80% der Maximalpunktzahl die Bestnote zu geben: Ihre Prüfungen sind schwierig, niemand kann alles lösen, 80% reichen (zumal auch das fast niemand schafft). Andere finden, die Bestnote gebe es für 100%. Wieder andere können sagen, was eine gute ausmacht, erwarten aber, dass die Schüler*innen für die Bestnote etwas mehr leisten. Diese unterschiedlichen Vorstellungen sind nur Verrechnungsformen, von denen eigentlich keine besser ist als eine andere.

Das Ziel von Schule müsste sein, dass Schüler*innen bei der nächsten Arbeit weniger rote und mehr grüne Felder haben. Das würde dann geschehen, wenn sie verstehen, wie sie zu grünen Feldern kommen und nachvollziehen können, weshalb das wichtig ist. Wer nun denkt, dass eine Bewertung ihnen dabei hilft, irrt sich: Viele Bewertungen führen zu Frustration, zu Unsicherheit, teilweise auch zu Zufriedenheit mit dem erreichten: Die Note mag zwar nicht gut sein, aber sie ist ausreichend – weshalb mehr oder besser arbeiten?

Was helfen würde, wäre Leistungen zu würdigen. Sichtbar zu machen, welche Lernerfolge erzielt worden sind und damit eine Resonanz auslösen, die Schüler*innen motiviert und ihnen einen Weg aufzeigt, wie Lernen für sie einen Sinn haben kann.

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