Industrielle Noten in China – 3 Millionen Kunstwerke benoten

Kürzlich bin ich über den folgenden Clip gestolpert, den Einblick in eine bemerkenswerte Bewertungskultur gibt:

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Link: Instagram

Wer sich das Video nicht anschauen kann – in China absolvieren jedes Jahr rund 1 Million junger Menschen die Aufnahmeprüfung für die Kunsthochschule. Dafür erstellen sie drei Arbeiten. Die so entstehenden 3 Millionen Kunstwerke werden in kurzer Zeit in einem industriellen Ablauf bewertet. Das geht so:

  1. Die Arbeiten werden anonymisiert.
  2. Die Arbeiten werden grob in Kategorien eingeteilt, die einem Punkteband entsprechen.
  3. In diesem Punkteband werden ihnen genaue Punktzahlen zugeordnet.

Diese Ergebnisse sind für die Laufbahn von chinesischen Schüler:innen enorm wichtig. Sie entstehen in einem Prozess, in dem für jede Arbeit nur wenige Sekunden zur Verfügung stehen. Das ändert aber letztlich nichts an der Legitimität der Ergebnisse, diese können kaum angezweifelt oder korrigiert werden.

Was zeigt diese erstaunliche Praxis?

  • Bewertung kann komplett vom Prozess gelöst werden und ohne direkten Bezug zu Kriterien erfolgen, solange die Ergebnisse sozial akzeptiert sind und keine Irritationen auslösen (die Bewertenden sind im chinesischen System hochgradig spezialisiert und geschult, selbstverständlich orientieren sie sich an Kriterien, kommunizieren diese jedoch nicht).
  • Allokation und Selektion sind primäre Funktionen von Bewertung – diese Prozesse sind deshalb so stark industrialisiert, weil die Bewerber:innen Unis zugewiesen (oder von Unis abgewiesen werden müssen).
  • Funktionierende Bewertung kann auch dann erfolgen, wenn die Bewertenden den Prozess und das entstandene Produkt kaum wahrnehmen können. Bewertung ist deshalb kein notwendiger Bestandteil von Feedback, da sie von Feedback-Prozessen komplett entkoppelt werden kann.

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