'Erfolg' hat nichts mit 'Leistung' zu tun

Letzte Woche habe ich mit 40 Jugendlichen diskutiert, die eine Schule besuche, welche Noten abgeschafft hat. Die Jugendlichen hadern mit dem neuen System. Einer ihrer Kritikpunkte: Noten seien ein Belohnungssystem gewesen, das nun weggefallen sei. Ihre schulische Leistung lohne sich nun nicht mehr, sie hätten keinen greifbaren Erfolg mehr.

Im Gespräch wurde deutlich, dass die Jugendlichen verstehen, wie willkürlich dieses Belohnungssystem ist. »Sie können ja als Lehrer irgendeine Zahl auf unsere Arbeit schreiben – und für uns hat die dann eine Bedeutung«, sagte eine Schülerin. Auf meine Rückfrage, warum das so sei, wussten die Jugendlichen direkt keine Antwort. Erst nach der Besprechung anderer Fragen kamen wir darauf zurück: So sei das System nun einfach mal, Erwachsene würden den Wert ihrer Arbeit auch am Lohn messen, den sie erhielten – selbst wenn Lohnsysteme nie fair seien und Leistung nicht berücksichtigen würden.

Meritokratisches Denken ist ein Zirkel: Wer glaubt, 'Leistung' schlage sich in 'Erfolg' nieder, wird sofort jedes Anzeichen für diesen 'Erfolg' mit 'Leistung' in Verbindung bringen. Wer so denkt, kann nicht mehr erkennen, ob es tatsächlich so ist, dass Leistung belohnt wird – oder ob man nicht einfach annimmt, jede Art Belohnung sei auf eine, oft auch unsichtbare Leistung zurückzuführen.

Dieses Denken führt dazu, dass es in der Schule eine Art Belohnungsystem braucht, um sichtbar zu machen, was eine 'Leistung' ist. Noten erfüllen diese Voraussetzungen, obwohl sie das nicht tun sollten. Sie schaffen eine problematische Unterscheidung und würdigen Fähigkeiten und Einsatz nach willkürlichen Kriterien.

Schüler:innen internalisieren dieses Denken über die Schule. Sie denken nicht grundsätzlich meritokratisch und erwarten dann in der Schule, dass sie so funktioniere – sondern in der Schule werden sie an dieses Denken herangeführt. Wenn sie sich bewusst nicht anstrengen, wenn Arbeiten nicht benotet werden oder weniger zählen, ist das eine rationale Handlung in einem System, das vorgibt, Leistungen messen zu können. Genauere Ausführungen zu diesen Gedanken, welche problematisieren, was Leistung ist und weshalb meritokratisches Denken zutiefst ungerecht und ideologisch ist, findet sich im Prüfungskultur-Buch.

Nur: Schüler:innen können nicht isoliert ausbrechen. Die Gesellschaft und Kultur in der sie leben, ist eine kapitalistische. Um sich damit abzufinden, dass menschliche Arbeit und natürliche Ressourcen verkauft werden können, müssen Menschen sich einreden, Geld werde verdient, das System sei so aufgebaut, dass Leistung belohnt werde. Das stimmt genausowenig, wie das bei Noten in der Schule stimmt – aber Menschen glauben das. Das in einzelnen Fächern und einzelnen Projekten aufzubrechen, führt bei Schüler:innen zu kognitiven Konflikten, die sie manchmal nicht auflösen können. Aber diese Überforderung könnte ihnen dabei helfen zu verstehen, dass die Welt nicht so eingerichtet sein muss… 

meine Notizen bei der Besprechung

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