Die Probleme von zentralisierten & standardisierten Prüfungen

Wer die Ungenauigkeit und Willkür von schulischer Beurteilung kritisiert, hört als Antwort oft, dass diese Probleme bei zentralisierten und standardisierten Prüfungen nicht auftreten würden: Entsprechende Aufgaben sind professionell ausgearbeitet und für viele Schüler:innen dieselben, weshalb ihre Ergebnisse aussagekräftiger und durch den Vergleich präziser werden. Generell gibt es die Vorstellung, dass zentrale und standardisierte Prüfungen von höherer Qualität seien als lokale, von einer Lehrperson erstellte und durchgeführte.

Das ist ein Fehlschluss. Prüfungen können im besten Fall drei Dinge leisten:

  1. Diagnose zu Lernprozessen ermöglichen (Haben Schüler:innen erfolgreich gelernt?)
  2. Lernsettings evaluieren (Konnten Schüler:innen in guten Umgebungen lernen?)
  3. Prognosen über die zukünftige Bildungslaufbahn von Schüler:innen machen (hier eine kritische Diskussion dazu)

Zentral gestellte Prüfungen lösen die Prüfungssituation aus ihrem Kontext. Sie schaffen eine klare Trennung zwischen einer Lern- bzw. Vorbereitungsphase und einer Prüfungssituation. Dadurch können sie zwar unterschiedliche Lernsettings miteinander vergleichen, aber nicht auf die spezifischen Bedingungen der Lern- und Arbeitsprozesses eingehen.

Am Freitag war ich mit einer Klasse in einer Ausstellung im Landesmuseum Zürich, sie heißt »Sprachenland Schweiz«. Einige Schüler:innen haben sie wie erwartet besucht, ein Headset ausgeliehen und Exponate visuell und auditiv aufgenommen. Andere haben sie ohne Headset angeschaut und dabei viel diskutiert, noch mal andere haben eine ganz andere Ausstellung angeschaut. Alle haben Lernerfahrungen gemacht – aber nicht alle dieselben Gäbe es nun eine zentrale Prüfung zu dieser Ausstellung, dann wüssten die Prüfenden nicht, was die Schüler:innen erlebt haben. Sie würden diejenigen, welche eine bestimmte Form der Besichtigung gewählt haben, begünstigen und alle anderen benachteiligen.

Das ist also das erste Problem von zentral gestellten Prüfungsaufgaben: Sie sind zu abstrakt. Sie können weder auf persönliche Voraussetzungen noch auf die Erfahrungen im Lernprozess eingehen. Sie tun so, als wäre es sinnvoll, die Prüfungsphase unabhängig von der Lernphase zu betrachten – obwohl das Gegenteil der Fall ist.

Ein zweites Problem, das in der Forschung intensiv diskutiert wird, besteht darin, dass standardisierte Tests zu eng sind. Sie können nur spezifische Aufgabentypen verwenden, die sich auch standardisiert korrigieren lassen. Dabei bleiben meist komplexere Aufgabenformen, die auch emotionale oder praktische Anteile haben, auf der Strecke.

Ein drittes Problem betrifft der Vergleich: Standardisierte Prüfungen tun aufgrund des ersten Problems so, als spielten die spezifischen Voraussetzungen der Schüler:innen keine Rolle. Der Vergleich wird oft durch Faktoren beeinflusst, die von zentralen Prüfungen nicht berücksichtigt werden können. So erscheinen die Ergebnisse objektiver als sie sind, sie werden zur Evaluation von Settings benutzt, die sich unter Umständen gar nicht vergleichen lassen.

Das letzte Problem ist 'teaching to the test'. Der Entzug der Prüfungshoheit führt bei Lehrpersonen zu einem Druck, sie versuchen, Klassen auf das vorzubereiten, was in standardisierten Prüfungen erwartet wird. Dabei verändern sie die Lernsettings und verschlechtern sie meistens, weil sie sich von einem Prüfungsdidaktik beeinflussen lassen, das jede Zentrierung auf die Schüler:innen erschwert oder gar verunmöglicht.

Fasst man diese Probleme zusammen, so wird deutlich, dass standardisierte Prüfungen nicht das einlösen, was sie versprechen. Sie haben wenig diagnostische Kraft und können allenfalls schwache Prognosen über die zukünftige Bildungslaufbahn von Schüler:innen anstellen, die aber mit viel Rauschen unterlegt sind. Grundsätzlich gibt es viel bessere Formen der Qualitätsprüfung in der Bildung als Einheitsprüfungen. Nur ist es so wie meist, wenn wir über Noten und Beurteilung sprechen: Die aktuellen Verfahren sind die effizientesten. Sie erfordern wenig Aufwand und liefern viele Zahlen, die aussagekräftig wirken.

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