Kompetenzen erfassen statt Arbeiten schreiben lassen

In seinem Konzept des »Thinking Classroom« geht Peter Liljedahl ausführlich auf die Problematik der Bewertung ein. Er spricht sich deutlich gegen das Paradigma des Punkte Sammeln aus (er nennt das auch »event-based grading«). Seine Alternative: Daten auswerten bzw. Kompetenzen erfassen. Im Folgenden nenne ich das erste Paradigma »Arbeiten schreiben«, das zweite »Kompetenzen erfassen«. Die Gegenüberstellung sieht bei Liljedahl wie folgt aus:

Arbeiten schreiben Kompetenzen erfassen
Notenbasis Prüfungsantworten Lernstand
Genauigkeit ungenau, fehleranfällig bildet Kompetenz ab
Leistung nur individuell, kurzfristig, im Prüfungssetting kollaborativ und prozessorientiert

Als Gedankenexperiment stellt Liljedahl drei Angestelle in einem Shop vor, der Fallschirme vermietet. Die Graphen zeigen, wie gut die Ergebnisse bei Prüfungen sind, in denen Abigale, Ben und Charlie Fallschirme packen müssen. Zum aktuellen Zeitpunkt (ganz rechts), kann Abigale den Fallschirm wohl am besten packen. Bei Ben ist eine Krise eingetreten, er ist verunsichert. Charlies Kompetenz schwankt, sie wird offenbar von einem anderen Faktor beeinflusst, z.B. durch Müdigkeit.

Werden nun die Leistungen von Abigale, Ben und Charlie mit drei Arbeiten erfasst, die früh, in der Mitte und zu Schluss geschrieben werden, haben sie wohl alle ungefähr dieselbe Bewertung. Die Unterschiede in ihren Leistungen lassen sich nicht erfassen.

Liljedahls Vorschlag kann dieses Problem umgehen. Er geht wie folgt vor:

  1. In einer Tabelle werden alle relevanten Kompetenzen aufgelistet.
  2. Ihr Nachweis kann auf einem Basislevel erfolgen, auf einem mittleren Level oder auf einem fortgeschrittenen Level (gilt nicht für alle Kompetenzen).
  3. In die leeren Felder werden Nachweise eingetragen:
    ✅ Kompetenz wurde individuell nachgewiesen (tiefgestelltes O für Beobachtung, C für Gespräch)
    S Kompetenz wurde individuell nachgewiesen, aber mit einem »silly mistake«.
    H Kompetenz wurde mit Hilfe von anderen nachgewiesen
    G Kompetenz wurde in Gruppe nachgewiesen
    x Kompetenz konnte nicht gezeigt werden, Versuch wurde aber unternommen
    N Versuch des Nachweis wurde nicht unternommen
  4. Zwei aufeinanderfolgende Nachweise zeigen, dass eine Kompetenz vorhanden ist. (Im unteren Beispiel ist das z.B. bei »Add and subtract« bei »Basic« und »Intermediate« der Fall, bei »Advanced« jedoch nicht.)
  5. Die Nachweise auf den anspruchsvolleren Niveaus gelten auch als Nachweis auf den tieferen.   

Zum Schluss werden Punkte vergeben, um eine Note zu errechnen. Diese basiert aber nicht auf Prüfungsantworten. Diese Zahlen basieren auf Daten, nicht auf zufälligen und willkürlich bewerteten Prüfungsantworten.

Dieses Bewertungsverfahren führt in Mathematik zu besseren Leistungen (Liljedahl spricht von 10-15% bei rund 80% der Lernenden). Das hat zwei Gründe:

  1. Bei Prüfungen oder Arbeiten werden Schüler*innen wiederholt für etwas bestraft, was sie noch nicht können. Das passiert beim Erfassen von Kompetenzen nicht – Schüler*innen weisen sie dann nach, wenn sie davon überzeugt sind, dass sie vorhanden sind.
  2. Lehrpersonen achten bei diesem Verfahren darauf, was Schüler*innen können. Sie helfen ihnen gezielt (H) und können auch Leistungen erfassen, die in Gruppen erbracht worden sind.

Subscribe to Beurteilung & Unterricht

Don’t miss out on the latest issues. Sign up now to get access to the library of members-only issues.
jamie@example.com
Subscribe
Mastodon