Wie sich der Fokus verschiebt, wenn Feedback an die Stelle von Bewertungen tritt

Seit etwas mehr als einem Jahr arbeite ich mit Kompetenzrastern – wie ich das mache, kann man unter craft.phwa.ch/kompetenzraster nachvollziehen. Aktuell begleite ich gerade Debatten, die Schüler:innen im Rahmen von Jugend debattiert führen.

Früher musste ich Noten setzen. Das bedeutete für mich insbesondere:

  1. Ich musste bei allen Schüler:innen auf alles Relevante achten, um eine vollständige und faire Bewertung entlang eines Kriterienrasters zu ermöglichen.
  2. Die Schüler:innen mussten in eine Rangfolge gebracht werden, die beste 'Leistung' musste zur besten, die schlechteste zur schlechtesten Note führen. Das war notwendig, weil jede Klasse diesen Vergleich ohnehin macht und die erhaltenen Noten damit abgleicht.
  3. Ich musste Kritik so formulieren, dass sie Abzüge von der Bestnoten legitimiert. Die Kritik war also nicht primär ein Hilfsmittel, um die Schüler:innen bei der Kompetenzentwicklung zu unterstützen, sondern um ihnen verkaufen zu können, dass die Note korrekt ist.

Das alles muss ich heute nicht mehr. Diese Entlastung führt dazu, dass ich den Fokus viel stärker darauf legen kann, was Stärken von Schüler:innen sind und so sie einen nächsten Entwicklungsschritt machen könnten, wenn sie entsprechendes Feedback erhalten. Ich kann Rückmeldungen gezielt so vornehmen, dass diese Punkte beleuchtet werden.

Zudem habe ich mehr Zeit für Feedback, weil ich nicht Punkte in ein Raster eintragen und mir den Kopf darüber zerbrechen muss, ob Schüler:innen das wohl so fair finden.

Das Beispiel zeigt, dass auch ein Unterricht ohne Bewertung erstens zu wichtigen und verbindlichen Lerngelegenheiten wie einer Debatte führt und dass zweitens gehaltvolle Rückmeldungen erfolgen, welche ohne Kränkungen, unnötige Vergleiche und Bürokratie auskommt. Zudem darf, wer will, an Schuldebatten teilnehmen, die als kompetitiver Wettbewerb angelegt sind. So ist es möglich, sich mit anderen zu messen, wenn das ein Bedürfnis ist. Was es für viele Schüler:innen aber nicht ist.