Kompetenzraster: eine erste Weiterentwicklung
Dieses Schuljahr habe ich konsequent aufgehört, Schüler:innen während des Semesters Noten zu geben und Prüfungen durchzuführen. Stattdessen führe ich Kompetenzraster und setze eine Note pro Semester: Diejenige, die ins Zeugnis gehört.
Dieses Verfahren ist das Resultat meiner Überlegungen zur Beurteilung und eine Reaktion auf die gesetzlichen Vorgaben, die ich einhalten muss. Ich verändere mein Verfahren ständig – im Austausch mit den Schüler:innen. Die ersten Einsichten habe ich im Januar hier schon notiert, was unten folgt, sind weitere Veränderungen.
Die Veränderungen im zweiten Semester betreffen drei Punkte:
- Ich habe aufgehört, Kompetenzen in Stufen aufzuteilen. Jede Kompetenz wurde entweder nachgewiesen oder noch nicht. Mehrstufige Kompetenzen teile ich auf; dasselbe gilt für Kompetenzen, die mehrmals nachgewiesen werden können.
- Mein Kompetenzraster betrifft nicht mehr ein ganzes Semester, sondern eine Lerneinheit.
- Nach dem Abschluss ziehe ich eine Zwischenbilanz, welche die Schüler:innen einsehen können. Sie wissen dann ungefähr wo sie stehen.
Daneben gewöhnen sich Klassen an mein System. Da ich an einem Gymnasium mit ausgeprägtem Fachlehrer:innen-System arbeite, werden Schüler:innen stärker durch die Prüfungskultur in den anderen Fächern geprägt als in meinem. Sie gewöhnen sich aber daran, dass Unterricht sich nicht darin erschöpft, eine Prüfungsvorbereitung darzustellen.
Einige kritische Punkte beim aktuellen System:
- Ich beginne teilweise, Kompetenzen operationalisiert zu denken – also mir sehr genau zu überlegen, wie Schüler:innen eine Kompetenz nachweisen können. Das wäre aber eigentlich ihre Aufgabe. Die Gefahr ist, dass das Kompetenzraster zu einem Kriterienraster für eine Bewertung wird, was ich aus verschiedenen Gründen nicht möchte.
- Der Aufwand ist immer noch recht hoch, die Kompetenzen sofort zu erfassen und korrekt abzubilden. Ich schaffe das nicht in allen Wochen; die entsprechenden Verzögerungen führen zu einer gewissen Spannung auch bei Schüler:innen.
- Die Zwischenbewertung kommt Noten nahe. Grundsätzlich könnte ich da auch Noten setzen – nur würde dann die Vorstellung auftauchen, ich könnte sie verrechnen. Das will ich ganz bewusst nicht, weil Noten nicht verrechnet werden dürfen.
Letztlich ist das ganze Verfahren weiterhin ein Kompromiss. Ich habe keine ideale Lösung gefunden, weil ich weiterhin Noten geben muss. Aber ich bin ein Schritt weiter gekommen, ein System zu entwickeln, das mit der minimalen Anzahl Noten auskommt. Sobald die Zürcher Gymnasien auf Jahrespromotion wechseln, gibt es bei mir nur noch eine Note pro Jahr.
Das ganze Verfahren ist geprägt von einer Ungrading-Haltung: Schüler:innen sollen spüren, dass Noten eigentlich sinnlos sind und nichts Wesentliches zum Lernen beitragen. Das ist verbunden mit einer gewissen Grosszügigkeit, insbesondere der Druck- und Vergleichsaspekt von Noten fällt bei mir weg. Schüler:innen werden nicht gezwungen zu lernen, weil sie Noten brauchen. Es ist möglich, ihnen auch mal eine bessere Note zu geben, als sie aus der Sicht der Lehrperson «verdient» haben. Noten müssen nicht künstlich verknappt werden, sie sind eine lästige Bürokratie, die einfach erledigt werden muss.
Konkret sieht mein Kompetenzraster aktuell so aus (für eine Lerneinheit):