Ist das Befolgen einer Anleitung eine sehr gute Leistung?
Die Fehlanreize, die von Noten ausgehen, haben bei fleissigen Schüler:innen einen ganz spezifischen Effekt. Er zeigt sich bei folgendem Problem:
- Die Schüler:innen kriegen eine gute Note, aber keine sehr gute.
- Sie fragen die Lehrperson, was sie denn noch hätten tun müssen, um die sehr gute Note zu bekommen.
- Die Lehrperson sagt entweder, dass sie das nicht sagen kann (oder will), die Schüler:innen müssten das selber herausfinden – oder sie betonen Defizite in der Arbeit der Schüler:innen, was diese als kleinlich und unfair betrachten.
- Die Interaktion ist nicht zufriedenstellend: Die Schüler:innen erwarten, dass es für das Erreichen der Bestnote eine klare Anleitung gibt, die Lehrperson kann (oder will) diese nicht geben.
Schüler:innen betrachten Benotung oft so: «Wenn ich alles tue, was die Lehrperson von mir verlangt, dann muss das die beste Note geben.» Lehrpersonen hingegen verstehen sehr gute Noten anders: «Wer tut, was ich sage, kriegt eine gute Note – sehr gute Noten sind denjenigen vorbehalten, welche die Erwartungen übertreffen.»
Der grundsätzliche Fehler liegt im Menschenbild und Lernverständnis, die der Bewertung zugrunde liegen. Fleissige Schüler:innen erwarten von fairen Settings, dass sie Tasks abarbeiten können, welche sie zu Bestnoten führen. Gewisse Lehrpersonen (hängt stark von der Fachkultur ab) setzen voraus, dass Schüler:innen auch Leistungen erbringen, die sich nicht in der Erfüllung von Vorgaben erschöpfen. Ein sehr guter Text ist beispielsweise einer, der formale und inhaltliche Aspekte ins Spiel bringt, der Erwartungen unterläuft und übertrifft. Wenn Schüler:innen nun einen Text so schreiben, wie sie das Schritt für Schritt gelernt haben, kann kein sehr guter Text entstehen. Dasselbe gilt für viele Bereiche des menschlichen Zusammenlebens: Gute Freund:innen tun beispielsweise auch nicht das, was man von ihnen erwartet, sondern manchmal mehr und manchmal etwas anderes.
Nur: Wir geben Freund:innen keine Noten. Wenn sie phasenweise 'nur' die Erwartungen erfüllen, dann reicht das aus. Noten erzeugen eine spezifische Frustration für Schüler:innen, die auch damit zusammenhängt, dass Lehrpersonen sich oft genötigt sehen, Noten zu verteidigen und in Kriterienrastern oder Kommentaren Schwächen hervorzuheben, damit Schüler:innen nicht bessere Noten einfordern.
Btw. zum Titel: Betteridge's Law gilt halt meistens doch.